12:12

Vor 16, 17  Jahren im Konfirmationsunterricht wurde man oft mit Zahlen und Doppelpunkten konfrontiert. Die Psalme von Hiob, der Korinther, irgendwelcher anderen Gelehrten waren so in der Bibel gekennzeichnet. Die Kombination 12:12 hat für viele auch etwas biblisches. Nur geht es nicht um Gelehrsamkeit, um Philosophie – um Glaube jedoch allemal.

Das DFL-Sicherheitspapier, das am Mittwoch verabschiedet werden soll und verabschiedet werden wird, ist für eine ganze Szene zum Antichristen geworden. Es ist der Kampf der Hardcore-Fans und regelmäßigen Stadionbesucher gegen Funktionäre und Bürokraten. Es geht um die Deutungshoheit dessen, was tatsächlich in den Stadien passiert. Herrschen Wild-West-Manieren mit Dutzenden Verletzten pro Woche, oder ist das Bundesligaschauen das sicherste Freizeitvergnügen nach einem Pur-Konzert?

Dass in den vergangenen Wochen Zehn-, nein, Hunderttausende ebenso friedlich wie beeindruckend gegen die Gängelung demonstrierten, mit zwölf Minuten und zwölf Sekunden Totenstille im Stadion, thematisierten die Medien. Sehr wohlwollend, schlugen sich in Kommentaren gemeinhin eindeutig auf die Seite der Fans, stützten immer wieder die These von einer in der Regel friedlichen Szene. Das wird die Anzugträger des DFB, der DFL nicht interessieren. Es geht schon lange nicht mehr um diejenigen, die auf den Rängen stehen oder sitzen. In einer Zeit, wo Eintrittskarten nur noch einen überschaubaren Teil der Vereins-Finanzierung ausmachen, weil aller Erfolg mit der Höhe der Fernsehgelder steht und fällt, wo schöne Bilder von tempodribbelnden 18-Jährigen in die Wohnzimmer gesendet werden sollen, kommt dem Zuschauer im Stadion nur noch die Rolle des Klatschkaspers zu.

Was ist das nur für eine Logik. Minderheiten, verschwindend geringe dazu – selbst die Polizeiexperten beziffern die Zahl der Gewaltbereiten in Frankfurt auf rund 1000 Leute, eine mikrige Zahl zu den Zehn-, ja Hunderttausenden Fans – , fackeln und feuern sich durch die Republik. Und dieser Minderheit wird eine Strahlkraft, ein Stellenwert eingeräumt, der nicht im geringsten im Verhältnis zu irgendetwas steht.

Wir leben in einer durch und durch ängstlichen Gesellschaft. In einer, wo das diffuse Unsicherheitsempfinden zu einem Boom bei Versicherungsverträgen führt. Mama und Papa packen sich und Familie in Watte. Klar, dass bei so einer Mentalität jede rot leuchtende Fackel wie eine Mörsergranate aussieht und man sich von solchen Leuten angegriffen fühlt. Nie im Stadion gewesen, aber eine Meinung haben. Nie elektrisiert worden sein von den Momenten der kollektiven Freude, des kollektiven Ärgers – aber urteilen wollen. Es ist wie so oft: Wer am weitesten weg ist von der Materie, besitzt (trotzdem) die Deutungshoheit. Da können Soziologen, Fanbeauftrage, Lokaljournalisten, Fans sagen und schreiben was sie wollen.

Das liegt aber auch daran, dass der unbelehrbare Teil der Fanszene, jene, die sich vehement hinter dem Argument der Fankultur verschanzen, das Haus eingerissen hat. Ihre Provokationen, von Hamburg bis Frankfurt, von Köln bis Berlin haben das window of opportunity, die Möglichkeit zur Durchsetzung solcher Pläne ermöglicht, nein, sperrangelweit aufgestoßen. Am Ende des Tages muss nämlich etwas passiert, einer Entwicklung Vorschub geleistet worden sein, um so ein Sicherheitskonzept durchwinken zu können. Da sind die Fans sowohl Henne als auch Ei gewesen.

Denn es ist doch der Narzismus der Unbelehbaren, seien es die Ultrabewegungen oder andere Gruppierungen, die provozieren wollten. Sie sind sich der Bilder, die sie erzeugen, absolut bewusst. Es sind Motive, die natürlich dankbar von Fernseh- und Fotokameras aufgenommen und gesendet werden. Nicht nur, weil sie scharf aussehen, sondern weil sie eine Geschichte erzählen, weil sie emotionalisieren. Genau das wollten und wollen jene Fans. Und nun geben sie sich scheinheilig, sehen und werben für sich in der Opferrolle. Sie werfen Medien und Verbänden vor, sich jener Bilder bewusst zu bedienen, um eine Stimmung erzeugen zu können. Welch verlogene Umkehrung der Tatsachen! Nein, die Schuld an der Entwicklung liegt daran, dass es die Fangruppierungen, so sie denn nicht in sich schon völlig zersplittert und gegen einzelne Anhänger keine Handhabe mehr besitzen, den Bogen überspannt haben. Die Warnungen waren für jeden klar zu sehen, Teilausschlüsse von Zuschauern, Pokalausschlüsse – das haben nicht Verbände, nicht Medien zu verantworten.

Die Zuschauer zahlen nun die Zeche. Und die Spirale der Gewalt, sofern man dieses Wort überhaupt benutzen darf, denn dieses ist tatsächlich missbraucht worden, beginnt sich jetzt erst zu drehen. Was glauben die Bürokraten denn, was künftig passieren wird? Der Dammbruch kommt dadurch zustande, das der Dialog abgebügelt, dass das Sicherheitskonzept einseitige Vor- bzw. Nachteile in sich trägt. Es wird sicher keine bürgerkriegsähnlichen Zustände in den Stadien geben, auch wenn mancher law-and-order-Politiker sich damit bereits jetzt profiliert. Jedoch gibt es für noch weniger Leute nun einen Grund, sich zurückzuhalten. Sie wurden und werden ja sowieso nicht gehört – das ist gefährlich. Aber auch dafür liegen in den Schubladen sicher schon Daumenschrauben bereit.

Irgendwann stehen dann Stimmungsroboter auf den Tribünen, oder es werden Menschen videotechnisch auf die Ränge projiziert, die Sounds kommen gesampelt aus iphone, pad, pod und Co direkt ins Wohnzimmer. Denn dort kommt das Geld her. Es wird eine tolle Zukunft. Ganz sicher.

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