Ende Mai nahm ich an einem Medien-Kongress teil. Wie alles in den vergangenen drei Monaten eine Online- statt Präsenz-Veranstaltung; also alles schein-spannend und ohne das, was Kongresse, Konferenzen – ach, was das Leben als solches ausmacht: Persönliche Gespräche, Menschen kennen lernen, voneinander lernen und das eigene Mütchen an den noch viel schlimmeren Zuständen anderswo kühlen.
Was diese Anekdote mit Eintracht Frankfurt zutun hat? Direkt gar nichts, indirekt kaum etwas, noch indirekter aber viel; denn ein Teil des Live-Video-Kongresses war es, bei Twitter die eigene Anwesenheit queasi mit Selfie zu dokumentieren. Und da sah ich nach dem Log-In dann, das ich fast auf den Tag genau vor drei Jahren letztmals Twitter – dieses Tool von Journalisten für Journalisten bzw. vom Akademikertum für das Akademikertum existierende – nutzte und auch zumindest mein letzter Eintracht-Inside-Blogbeitrag auch schon mehr als zwei Jahre (ohne den DFB-Pokalsieg noch länger) zurückliegt.
Rückblick: Ich bin im Mai 2016 Vater geworden und irgendwann zehren die vielen Baustellen des Lebens einen einfach auf, der mitunter täglich befüllte Eintracht-Blog musste als bewusste Entscheidung von mir aufgegeben werden.Der letzte Gerade-so-Nicht-Abstieg – das war der Drahtseilakt gegen den 1. FC Nürnberg in der Relegation – markierte nach Jahren des Blogger-Daseins bekanntlich eine Art „Abschluss“ für mich. Nun also reifte, wenige Tage vor dem „Bundesliga“spiel der SGE in Wolfsburg der Gedanke, die eingerosteten Blogger-Knochen wieder aufzuwärmen. Vielleicht nur für einen, also diesen Beitrag, vielleicht für mehr Analyse, Meinung oder gar regelmäßigeren Content. Was ich sagen kann: Ich habe nur das Bloggen eingestellt, nicht das Eintracht-Verfolgen (= Eintracht-Verfluchen, Eintracht-Vergöttern). Obgleich, so viel Ehrlichkeit muss sein, nicht mehr mit der Emotionalität früher Tage. Spätestens ein eigenes Kind lehrt einen dann eben doch, was und wofür Energie wichtig/unwichtig ist. Dafür bauchte es zumindest bei mir keine Corona-Sinnsuche. So dann, genug der Vorrede, wir haben ja noch was vor uns.
Wolfsburg – das beginnt mit Gladbach. Mit Bayern. Und all den vorangegangenen Wochen, Monaten, Spieltagen die meist eher Blamagen als Bundesliga-Augenhöhe waren. Trainer Adolf Hütter stolperte mit seiner Truppe streng genommen schon die ganze Saison, gar saisonübergreifend von einer Misere in die nächste, üble Kicks folgten auf schaurige Auftritte, was in einem 0:3 gegen den FC Basel – den FC Basel ! – gipfelte. Völlig egal welches Personal auflief, es sah und ging meist gleich schlecht aus. Die Corona-Unterbrechung, da waren sich die meisten im März wohl einig, kommt für Eintracht Frankfurt einem Fußballgott-Geschenk gleich. Und dann, die Überspiel-Ausrede griff nicht mehr, plumpste die SGE im Mai mit genauso blutleerem und vor allem einfallslosem Gewürge in die Bundesliga zurück.
In Wolfsburg war das so anders dann eigentlich auch nicht. Mit Fußball hatte das meist wenig zutun, nach vorne fand man praktisch nicht statt und nach hinten wirkte alles wie auf Kante genäht – eine Unachtsamkeit, der Rückstand und das Kartenhaus wäre in sich zusammengefallen. Aber das passierte nicht beziehungsweise es gab Kevin Trapp, der zwei, drei Mal entscheidend parierte. Vor allem passierte in diesem Spiel, in einem Stadtion aus dem man gefühlt stets mit leeren Händen abreist, etwas anderes: Die Spieler gingen konzentriert vor, das war zwar alles ideenlos und ohne Zug zum Tor, aber immerhin hielt jeder die Konzentration aufrecht und hielt deshalb auch köperlich dagegen. Die sinnbildliche Szene war die von Lucas Torro, der spät im Spiel zwei sehr kluge Fouls beging, dafür zwar Gelb-Rot sah, aber so zwei Angriffe unterband die durchaus Gefahrenpotential hatten.
Überhaupt und nach Monaten der halbgaren Rotation, Experimenten ohne Verbesserung scheint nun spät, sehr spät eine Mannschaft gefunden, mit der man zumindest das Minimalziel Klassenerhalt erreichen konnte. Mit Makoto Hasebe steht und fällt seit langem vieles, er muss einfach als Libero in dieses Team. Dazu haben mit David Abdraham und Martin Hinteregger zwei Spieler gezeigt, dass sie Innenverteidiger waren, sind und bleiben sollten. Dieses sinnfreie Verschieben, wie Ndicka (gegen Hertha ebenso gut und erfolgreich zurückgekehrt wie der völlig fallengelassene Danny daCosta) von Innen nach Außen muss endlich ein Ende haben; das tut weder Spieler noch Team gut. Ebenso die Nibelungentreue zu Spielern wie Almany Touré und Stefan Ilsnanker sind Fehler gewesen. Daran ändern auch ein, zwei gelungene Aktion pro Spiel nichts.
Die 6er-Problematik, also wer neben dem zurecht gesetzten Sebastian Rode aufläuft, hat sich auch spät in der Saison erst geklärt: Dominik Kohr macht nun das was er machen soll: den Gegnern den Schneid abkaufen. Und mehr: Er beteiligt sich nun am Offensivspiel. Bis dato krankte die zentale Vorwärtsbewegung spürbar,dort hängt alles eher am fußballersich immer schon etwas hemdsärmeligen Rode. Jeder Hemdsarm ist indes besser geeignet als Millionen-Grab D.Sow. Und besagter Lucas Torro? Keine Ahnung, das ist weiterhin Kategorie unsicht- und damit irgendwie unbewertbar.
Einen rechten Offensiv-Flügel hat es in dieser Saison praktisch nicht gegebn, weder vor der Winter-, noch nach der Corona-Pause. Dort verdingten sich schon viele, in Wolfsburg war es ein blasser Timothy Chandler. Besser blass als schlafwandelnd, mag man angesichts so manches Bolzens von Toure sagen. Danny daCosta hat dann gegen Berlin aber gezeigt, wieso er mal Immerspieler war. Filip Kostic, er ist sicher in der Stammformation noch am ehesten Corona-Pausen-Verlierer; aber das sei ihm nach so vielen Monaten als einzig dauerhaft tauglicher Offensivspieler auch leicht verziehen.
Es ist ziemlich simpel, was in der nun Klasse gehaltenen Saison 2019/2020 das Problem war und ist: Die Zahl derer, die den Ball lieben, ist in diesem Team einfach zu klein. Mijat Gacinovic bringt neben dem Kampfgeist nicht sonderlich viel spielerisches Element auf die Platte, Daichi Kamada ist noch zu punktuell und körperlos untwerwegs und wenn man noch André Silva als einzigen wirklich prägenden Faktor hineinnimmt, ist es mit der Aufzählung der Ballfreunde im Team auch schon vorbei.
Die Fehler sind nach dem Millionenrausch, den Verkäufen von Jovic, Haller und Rebic gemacht worden. Man hat es nicht nur fehl-investiert, man hat den Kader insgesamt völlig dysfunktional zusammengestellt. Daran tragen Adi Hütter und Fredi Bobic gleichsam schuld; vor der Saison vor allem der „Manager des Jahres“ und zwischen Saisonbeginn und Winter – Stichworte Eindimensionalität samt Dauermisere und Ilsanker – eben Hütter.
Es stellt sich aber ohnehin schon seit Wochen die Frage, wie die SGE 2020/2021 personell ausschauen sollte. Denn nach dieser wahrlich nicht guten, auch nicht durchschnittlichen, sondern nur von 2,3 Kraftakten/Zwischensprints getragenen Saison, ist unklar wer die Säulen sein sollen.
Kevin Trapp, klar. Bei Martin Hinteregger und Makoto Hasebe dürfte das schon mit mehr Fragezeichen verbunden sein, denn es braucht schlichtweg in der Abwehr, alleine aus Spieleröffnungsgründen mindestens zwei neue Spieler mit einer gewissen Solidität und vor allem Geschwindigkeit. Im Mittelfeld wird man dringend die Flügel bestücken müssen, rechts unbedingt. Links bei Kostic-Abgang hochwertigst und bei einem Verbleib zumindest so, dass er nicht mehr die einzige Waffe bleibt. Auf der Sechserposition ist das ähnlich: Mindestens ein Spieler der Güteklasse B wird benötigt, das Modell mit zwei Spielern der Gattung Kämpfer/Rammbock – Rode und Kohr – reicht dann für einen Klassenerhalt irgendwo zwischen Rang 15 und 11, aber wenn man ernsthaft dauerhaft um die Ränge 6 / 7 im Geschäft sein will, muss da etwas „Feingliederiges“ geschehen.
Und im Sturm, da war diese unsägliche Jovelic-Leihe nach Belgien eine der typischen grotesken Frankfurter Fehlentscheidungen. Was er ab Spätsommer bringen kann, weiß keiner. Aber dass er über die Nummer 3 / 4 hinauskommt, ist erstmal nicht zu erwarten. Silva, den man als kompletteren Rebic unbedingt dauerhaft halten sollte, ist da der Eckpfeiler. Daneben? Dass Dost und Pacienca diejenigen welchen sein könnten, die für das Level „einstellige Tabellenplätze aufwärts“ die richtigen sind, fällt erstmal schwer zu glauben. Aber: Würd das Mittelfeld nicht so einbeinig – also Kostic – aufgestellt sein und Chancen herausgespielt werden können, sind alle genannten in der Lage häufig genug zu knipsen. Dost mit einer Nicht-Verletzungs-Vorbereitung, das könnte schon noch reichen. Er bringt das mit, sah man beim Ausgleichstor gegen Berlin. Das war ein Tor, das man so in Frankfurt lange nicht erzielte, ein so klassisches Mittelstürmer-Tor, das man es fast schon vergessen hatte.
Long story short: Mind. ein Innenverteidiger, zwei Außenmittelfeldspieler, ein Sechser, ein Stürmer müssen her.
Ayman Barkok könnte in diesem Kontext aus Düsseldorf zurückkehren, er wäre sicher einer, der im Mittelfeld mittlerweile eine stabilere Rolle spielen könnte und ein kostenneutraler Zugewinn für das Offensivspiel wäre. Bei D. Sow als Sechser wird man, ähnlich wie bei Stürmer Dost auf eine verletzungsfreie Vorbereitung hoffen um den Effekt zu bekommen, den man sich schon ein Jahr früher erwartete.
Abgesehen davon, dass die wenigen namhaften Spieler ohnehin auf den Zetteln vieler stehen werden, passen sie auch nicht so recht ins SGE-Profil: Janik Haberer (zentrales Mittelfeld, SC Freiburg) noch eher als Robin Knoche (Innenverteidiger, VfL Wolfsburg). Zum „Wildern“ bei den Absteigern, wohl Paderborn und Düsseldorf gibt es nicht all zu viel Personal. Aber es gibt sie, speziell bei Düsseldorf: Erik Thommy – wenn auch von Stuttgart mit Kaufoption geliehen – auf Linksaußen als Kostic-Alternative. Kenan Karaman dann als sicherlich eher Zentral- denn als Linksstürmer.
Neben Gelson Fernandes, Frederik Rönnow und Jonathan deGuzman, evtl. ja auch der in England kickende holländische Außenverteidiger, dessen Namen ich vergessen habe und dessen Auftritte in Frankfurt ich nie vergessen konnte, dürften auch ein, zwei andere das Team eher verlassen. Erik Durm, kurioserweise noch ewig vertraglich gebunden, ist sicher der erste Wechselkandidat. Was man sich von Leuten wie Cavar und Zalazar verspricht, bleibt für unsereinen sicher unergründbar.
Alles in allem hat der Kader schon jetzt ein gewisses Fundament, aber es fehlt ihm A) die Dynamik, die Quickness und B) die Stabilität. Letzlich auch, zumindest im Mittelfeld die Tiefe, zumal für (künftig ja nicht mehr) lange Saisons. Die Neuzugänge 2020/2021 müssen diesmal jedenfalls in dem Maße sitzen, wie sie es 2019/2020 nicht taten.